Am Sonntag, den 09.02.2020 begann für die OSZE-Wahlbeobachter der Arbeitstag gegen 06:00 Uhr. Im Hotel trafen sie sich zu letzten Absprachen, um dann mit den Fahrern und Dolmetschern zu den festgelegten Wahllokalen zu fahren. Rund eine halbe Stunde vor Öffnung erreichten wir unsere erste Beobachtungsstelle. Gemäß den vorgegebenen Inspektionslisten führen wir die Überprüfung durch. Wir kontrollierten z.B. öffentliche Sichtbarkeit und Kenntlichmachung als Wahllokal, die Zugangsmöglichkeiten für Behinderte, die festgelegte Anzahl der Mitglieder der Wahlkommission, die Verplombung der Wahlurnen, usw..
Pünktlich 08:00 Uhr öffnete das Wahllokal und die ersten Wähler betraten die Räume. Wie festgelegt verfolgten wir die genau vorgegebene Prozedur; Überprüfung der Ausweise, Eintragung im Wählerverzeichnis, Aushändigung der Stimmzettel. Eine Besonderheit in Aserbaidschan war, dass man mit Aushändigung des Stimmzettels auf den linken Daumen mit einer Flüssigkeit besprüht wird. Diese Flüssigkeit ist mit dem bloßen Auge nicht sichtbar, aber mit Hilfe einer UV-Lampe. Damit verhindert man bei Kontrolle einem anderen Wahllokal, das doppelt abgestimmt wird. Im ersten Wahllokal, das sich im Gebäude der Bahngesellschaft von Aserbaidschan befand, war alles in Ordnung.
Wahllokal für Wahllokal wurde überprüft
Dann fuhren wir gemäß unserem Auftragsunterlagen in die Osthälfte von Baku. Allein für die Anreise benötigten wir über eine halbe Stunde. Dann begann unsere Kontrollarbeit in diesem Stadtbezirk; Wahllokal für Wahllokal wurde überprüft. An diesem Tag stürmte und regnete es so stark, wie in den letzten 20 Jahren nicht; so sagten uns die Einheimischen. Durch diese orkanartigen Windböen sind wahrscheinlich viele Stromleitungen gerissen, denn in fast allen Wahllokalen gab es keinen Strom und nur die vorhandenen Notstromaggregate lieferten die notwendigste Energie. Zuerst erfolgte, wie vorgeschrieben, unsere offizielle Registrierung bei der Wahlkommission, die immer aus 6 Personen bestand; fast immer paritätisch von Frauen und Männern. Dann überprüften wir den Wahlvorgang. Schon im ersten Wahllokal sagten uns die einheimischen offiziellen Wahlbeobachter, dass es Unstimmigkeiten gibt. Vom Wahlleiter bekommen wir immer gesagt, wie viele Personen bereits gewählt haben; diese Zahl wich meist von den Summen ab, die uns die einheimischen Beobachter der unterschiedlichsten Parteien nannten.
Auseinandersetzung im Wahllokal
In einem Wahllokal gab es eine handfeste Auseinandersetzung zwischen einem Beobachter aus der Opposition und der Wahlkommission. Der Beobachter meinte, sein Handy hat keinen Empfang, aber die Handys der Beobachter der Regierungspartei funktionieren. Er sah darin eine Wahlmanipulation. Wir konnten den Streit schlichten, da wir ihm sagten, dass z.B. mein Handy auch keinen Empfang hat, aber das von meinem Kollegen Paul Podoley schon. Durch den Sturm waren einfach einige Sendemasten außer Betrieb, ja nach Provider.
Insgesamt gestaltete sich diese OSZE-Wahlmission als sehr beschwerlich. In diesem Stadtgebiet gab es wenige Straßenschilder, was die Suche der Wahllokale, die sich meistens in Schulen oder Kindergärten befanden, sehr erschwerte. Ein Wahllokal haben wir eine Stunde gesucht. Selbst eine Nachfrage bei einem Taxifahrer brachte uns keine Hilfe, Dieser meinte: „Ich fahre hier seit 35 Jahren Taxi, diese Straße gibt es hier nicht!“ Ein andere Taxifahrer sagte sehr höflich: „Fahren Sie mir einfach hinterher, ich bringe Sie hin; sie finden es nicht ohne meine Hilfe!“
Durch den Dauerregen waren die Straßen komplett überflutet. Unser Fahrer hatte Angst, dass wir uns mit dem Auto auf den schlammigen Straßen und Wege festfahren, oder in einem nicht sichtbaren Schlagloch versacken. Sollte der Auspuff mit Wasser zugelaufen, können die Abgase den Auspuff nicht verlassen und der Motor versagt, so unsere Bedenken.
Mission konnte leider nicht komplett erfüllt werden
Durch diese und andere Herausforderungen und Widrigkeiten gelang es uns nicht, alle vorgeschrieben Wahllokale zu kontrollieren; 3 von 15 blieben ohne Überprüfung. Es war für uns das erste Mal, dass wir unsere Mission nicht komplett erfüllen konnten; was uns sehr ärgerte.
Kurz vor 19:00 Uhr waren wir dann im letzten Wahllokal angekommen. Hier sollten wir wie üblich die Auszählung überprüfen. Genau 19:00 Uhr ließ der Wahlleiter die Tür vom Wahllokal schließen; dann sollte eigentlich die Auszählung beginnen. Nachdem rund eine halbe Stunde mit irgendwelchen Tätigkeiten durch die Wahlkommission überberückt wurde, fragten wir den Leiter wann denn die Kommission mit dem Auszählen der Stimmzettel beginnen will; die Antwort: „Wir haben noch etwas vorzubereiten, dann geht es los.“ Nach einer Stunde passierte immer noch nichts. Die Wahlurnen standen immer noch verplombt auf dem Tisch der Wahlkommission. Wir informierten die Wahlleitung der OSZE über diesen Fall. Zur Antwort bekamen wir, dass dies in scheinbar vielen Wahllokalen so ist.
Wahlergebnisse deckten sich nicht mit unseren Beobachtungen
Auch andere OSZE-Wahlbeobachter hatten ähnliche Feststellungen gehabt. Gegen 21:30 Uhr haben wir nochmals mit dem Wahlleiter gesprochen; seine Antwort: „Es steht nur geschrieben, dass er um 19:00 Uhr das Wahllokal schließen muss, wenn er mit der Auszählung beginnen soll steht nicht in der Anleitung der Wahlkommission. Er kann deshalb auch am Morgen mit der Auszählung beginnen, da seine Leute schon müde sind.“ Wir meldeten diese Aussage an die OSZE-Wahlleitung und brachen die Mission ab. Für uns war klar, dass der Leiter in diesem Wahllokal nicht selbständig diese Entscheidung getroffen hatte, denn immer wieder bekam der Anrufe, die ihm scheinbar auch nicht so gefallen haben. Am späten Abend trafen wir weitere OSZE-Wahlbeobachter. Die Auswertung ergab, dass fast alle die gleichen Erlebnisse hatten.
Fazit: Das offizielle Wahlergebnis wurde am nächsten Tag bekannt gegeben. Diese Information deckt sich in vielen Punkten nicht mit unseren Beobachtungen; um es höflich auszudrücken.
Ihr
CHristoph Neumann