Weisses Haus

Wir glauben die USA zu kennen oder zu verstehen weil wir seit unserer Kindheit jeden Tag Filme, Reportagen oder Nachrichten aus den USA in unseren deutschen Medien sehen oder hören.

Mit diesem Gedanken bin ich am Freitag, den 30. Oktober 2020 als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur offiziellen Beobachtung der Präsidentenwahl in die Vereinigten Staaten von Amerika geflogen. Mit einer Zeitverschiebung von fünf Stunden landeten wir Wahlbeobachter am späten Nachmittag auf dem Washington Dulles International Airport. Bei der Fahrt zum Hotel, im Zentrum von Washington gelegen, konnten wir uns einen ersten Eindruck von der Situation verschaffen.

Schaufenster rund um das Weiße Haus mit Sperrholzplatten geschützt

Besonders fiel uns auf, dass im Umfeld von rund einem Kilometer um das Weiße Haus alle Schaufenster mit großen Sperrholzplatten geschützt wurden. Sicherlich erwartete man aufgrund von Erfahrungen der früheren Wahljahre Ausschreitungen und Plünderungen.

Vorbereitung auf die Wahlbeobachtung

Unsere ganztägige Einweisung zur Wahlbeobachtung begann am Samstag, den 31.Oktober 2020 und wurde am Sonntag, den 01. November 2020 fortgesetzt. Den über 100 Wahlbeobachtern aus 39 OSZE-Staaten wurde von fachkompetenten Experten (inklusive eines Senators und eines ehemaligen Abgeordneten des Repräsentantenhauses) das komplizierte amerikanische Wahlsystem und auch das gesellschaftliche Grundverständnis zu Wahlen erklärt.

Wir merkten schnell: Dieses Wahlsystem unterscheidet sich wesentlich von unseren europäischen Werten und Normen.

Wir denken, christlich geprägte Menschen aus Europa haben vom 17. bis zum 20. Jahrhundert Europa verlassen und die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut. Grundsätzlich ist dieser Gedanke richtig. Aber welche Menschen haben Europa verlassen: es waren vorwiegend einfache Leute, die aus der Not heraus ihre Heimat verließen und ihr Glück in der Fremde suchten.

Mit dem Kerngedanken, dass nur der etwas im Leben erreicht, der fleißig arbeitet und der sich ohne behördliche Einschränkung frei entfalten kann, wurde Amerika aufgebaut.

Kein staatlich festgelegtes Meldewesen in den USA

Diese Grundeinstellung ist auch im amerikanischen Wahlrecht fest verankert. Es gibt in den USA kein staatlich festgelegtes Meldewesen. Kein Bürger der Vereinigten Staaten besitzt einen Personalausweis. Kein Bürger ist somit automatisch in einem Wählerverzeichnis erfasst.

Wir lernten bei unseren Einweisungen zur Wahl:

1. Jeder, der möchte kann sich nach freiwilliger Entscheidung in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen. Eine Wahlpflicht besteht somit nicht.

2. Es ist die vorherrschende Meinung, dass nur Menschen, die ordnungsgemäß an den Staat, also an das Gemeinwesen ihre Steuern bezahlen und nicht kriminell sind oder von der Sozialhilfe leben, wahlberechtigt sind.

Der in Europa verankerte Gedanke, dass jede Person ab der Volljährigkeit wahlberechtigt ist, wird in den USA von ganz wenigen Menschen als berechtigt angesehen. Diesen Kerngedanken des Wahlrechtes nach der Steuerpflicht gab es in Preußen und in anderen europäischen Staaten im 19. Jahrhundert und wurde bis um das Jahr 1920 praktiziert. Personen, die sehr viele Steuern zahlten und somit viel zum Gemeinwesen beitrugen, hatten bei Wahlen drei Stimmen. Personen, die viele Steuern zahlten, hatten zwei Stimmen und Personen, die normal die Steuern zahlten, hatten eine Stimme.

Vorbereitungen auf den Wahltag

In den USA herrscht der von allen akzeptierte Grundsatz, jeder sollte fleißig sein und nicht auf Kosten der anderen Leute sowie legal im Land leben. Dieser Mensch wird von allen anerkannt; egal woher er kommt. Der in Europa vorherrschende Gedanke der Missgunst bei Erfolg ist hier komplett unbekannt.

Jeder der 50 Bundesstaaten besitzt ein eigenes Wahlrecht

Unter diesen Grundgedanken zum Leben und zur Wahl erlebten wir im Vorfeld die Wahlen. Unabhängig von dieser prinzipiellen Grundeinstellung wurde uns erklärt, dass jeder der 50 Bundesstaaten ein eigenes Wahlrecht besitzt. Für uns unvorstellbar gibt es Staaten, in denen der Wähler mit seiner Waffe (dies ist gemäß der Verfassung der Vereinigten Staaten sein Recht) nach freier Entscheidung das Wahllokal betreten kann und seine Stimme abgibt.

Zum Briefwahlrecht erfuhren wir vom Direktor der US-Post folgende Information: In 42 Staaten und Washington D.C. gibt es ein gesetzlich verankertes Briefwahlrecht mit einer Zeitspanne beginnend von bis zu 45 Tagen vor dem Wahltag. Durchschnittlich beträgt die Briefwahlzeit 19 Tage vor dem eigentlichen Wahltag. In sieben Staaten (Connecticut, Kentucky, Mississippi, Missouri, New Hampshire, South Carolina und Delaware) gibt es kein Anrecht auf Briefwahl, lediglich Präsenzwahl. Im Staat Delaware gilt das Briefwahlrecht erst ab dem Jahr 2022.

Aufgrund der Corona-Pandemie gab es teilweise besondere Regelungen, die für die Wahl zum Präsidenten der USA im Jahr 2020 galten.

Grundsätzlich gilt folgende Rechtslage zu Wahlen in den Vereinigten Staaten:

In den Staaten Colorado, Hawaii, Oregon, Washington und Utah war eine Briefwahl immer möglich. Die Staaten Kalifornien, Nevada, New Jersey, Vermont und Washington D.C. schickten an die zuvor registrierten Wähler automatisch die Wahlzettel nach Hause.

Unterschiedliche Voraussetzungen für die Briefwahl

In 35 Staaten mussten registrierte Wähler die Briefwahlunterlagen schriftlich beantragen, brauchten aber keinen triftigen Grund dafür angeben, bzw. Corona durfte eine Entschuldigung sein. In fünf Staaten (Indiana, Louisiana, Mississippi, Tennessee und Texas) mussten die registrierten Wähler eine glaubhafte Begründung für die Beantragung von Briefwahlunterlagen nennen, Corona war keine Entschuldigung!

Die meisten Staaten erlauben den Eingang der Briefwahlunterlagen am Wahltag bis zur Schließung der Wahllokale. Einige Staaten erlauben die Gültigkeit der abgegebenen Stimmen, wenn der Briefumschlag mit dem darin befindlichen Stimmzettel am Wahltag abgestempelt wurde. Sofern der Brief – zum Beispiel aus einem sehr ländlichen Raum abgesendet – erst einige Tage nach dem Wahltag im Auszählzentrum ankommt, wird diese Stimme noch gezählt.

Weiterhin lernten wir durch die Einweisung der OSZE, dass unabhängig von den Wahlvorschriften in den jeweiligen Bundesstaaten weitere Wahlvorschriften existieren. In den Distrikten und auch in den Gemeinden, ob nun Dorf oder Stadt, haben die Bürger demokratisch selbstbestimmte Wahlrechte festgelegt. Dieses geltende Wahlrecht verkompliziert den gesamten Wahlablauf. Weiterhin mussten wir Wahlbeobachter erfahren, dass die Wahlmänner der jeweiligen Staaten nach einem sehr komplizierten Verfahren ihre Stimmen nach Washington überbringen. Grundsätzlich gilt, dass jeder Staat der USA in Abhängigkeit seiner Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern besitzt. Dies resultiert aus der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1787. Diese Wahlmänner ritten früher mit dem Endergebnis ihres Staates nach Washington und überbrachten das Wahlergebnis.

Ob dieses Wahlsystem nach dem derzeitigen Stand der Entwicklung als zeitgerecht betrachtet werden kann, ist sicherlich zu hinterfragen, aber es ist geltendes Recht in den Vereinigten Staaten. Ob die 50 Staaten in den nächsten Jahren das Wahlrecht ändern, ist fraglich. Insofern können wir in Europa stolz sein, diese Art von Wahlrecht nicht mehr zu nutzen.

Ihr

CHristoph Neumann