Das Wahllokal in der Schule

Unsere eigentliche Wahlbeobachtungsmission begann am Dienstag, den 03. November 2020 gegen 06:00 Uhr. Mit einem bestellten Auto fuhren wir zu unserem ersten Wahllokal, einer Schule in Washington D.C. im Stadtbezirk Nordwest.

Wir meldeten uns – wie immer bei weltweiten Wahlbeobachtungen – beim Leiter des Wahllokales an. Zuerst zeigten wir unsere Ausweise der OSZE-Wahlbeobachtungsmission. Warum erwähne ich dies hier besonders? In allen anderen Staaten, in denen ich seit mehreren Jahren als Wahlbeobachter tätig bin, “öffnet“ dieser Ausweis automatisch die Türen zum Wahllokal. Bei unserer Einweisung zur Wahl hatten wir erfahren, dass in den USA jeder Leiter eines Wahllokales selber entscheiden kann, ob er uns den Zutritt erlaubt. Wir hatten Glück – die Leiterin und ihre Kommission empfingen uns sehr freundlich.

Erklärungen zur Wahl durch die Leiterin der Kommission

Sie erklärte uns ausführlich, welche Wahlmöglichkeiten der Wahlberechtigte hat. Zuerst muss er sich irgendwie ausweisen. Bekanntlich gibt es in den USA keine Personalausweise. Die meisten Menschen legen zur Legitimation ihre Fahrerlaubnis vor. Meist werden auch die Sozialversicherungskarte oder Bankkarte mit Foto als ausweisende Dokumente anerkannt. Diese Plastikkarte mit Chip wird in einen Registrierungscomputer eingefügt. Nach der Überprüfung zeigt dieser in der Regel ein “gültig“ an und so bekommt der Wahlwillige eine Wahlerlaubnis.

Mit dieser Wahlerlaubnis begibt sich der Wähler zum Tisch mit den Stimmzetteln. Dort wird er gefragt, ob er direkt am Wahlcomputer wählen oder den Stimmzettel per Hand oder mit Hilfe des Computers ausfüllen möchte. Je nach Belieben erhält er dann die Stimmkarte oder den gewünschten Stimmzettel.

Wahlurne

Die Wähler dürfen keine Kreuze auf dem Stimmzetteln machen, sondern müssen den ellipsenähnlichen Kreis neben dem vorgeschlagenen Kandidaten mit einem blauen oder schwarzen Kugelschreiber ausfüllen; nur dies kann der Computer elektronisch zählen. Nachdem sich der Wähler für einen Kandidaten entschieden hat, begibt er sich zur Wahlurne. Diese hat eine Form ähnlich unseren schwarzen Mülltonnen. In diese Wahlurne schiebt der Wähler seinen Stimmzettel ein. Dieser wird automatisch gezählt und fällt dann in den unteren Teil der Wahlurne. Bei Bedarf kann somit zur Kontrolle nochmals händisch ausgezählt werden.

Beobachter auch von Parteien und privaten Organisationen

Wir sahen, dass einige Menschen (besonders ältere Leute) Probleme beim Wahlablauf hatten. Diesen Menschen halfen dann die offiziellen Mitglieder der Wahlkommission und erklärten den Prozess. Unabhängig von uns OSZE-Wahlbeobachtern waren auch Beobachter von Parteien sowie privaten Organisationen in den Wahllokalen und kontrollierten den Wahlablauf. So war es auch in den anderen Wahllokalen in Washington D.C.. In der Hauptstadt kann jeder Wahlberechtigte, der in Washington offiziell seinen Wohnsitz hat, in jedem Wahllokal seine Stimme abgeben. Eine Doppelwahl ist durch die technische Verknüpfung unmöglich, so die Leiter der Wahllokale.

Nach unserem Einsatz in Washington fuhren wir mit dem Auto in den Bundesstaat Virginia. Als Einsatzgebiet war für uns der Distrikt Fairfax mit der Hauptstadt Fairfax festgelegt worden. Auch in diesem Wahlgebiet wurden wir in der Regel sehr freundlich empfangen. Fast überall wurde uns mit einem großen Entgegenkommen das Wahlprozedere erklärt. Es gab nur einige Unterschiede, denn nicht in allen Wahllokalen konnte mit dem Wahlcomputer abgestimmt werden, da über den Einsatz dieses Wahlgerätes die Gemeinde entscheidet. Weiterhin durfte nur derjenige wählen, der auch in diesem Wahlkreis offiziell registriert wurde.

Skeptischer Empfang in einem Wahllokal

Nur in einem Wahllokal wurden wir zuerst sehr skeptisch empfangen. Selbst einen offiziellen Brief des Botschafters der USA bei der OSZE in Wien, den wir den Verantwortlichen zeigten, hielt man für nicht akzeptabel. Nach einigen hektischen Telefonaten bis hin zur obersten Wahlkommission vom Bundesstaat Virginia wurde dann die Genehmigung zur Wahlbeobachtung erteilt.

Diese Anruf-Lawine muss sich bis zur OSZE-Wahlleitung herumgesprochen haben, denn ich erhielt nach einer halben Stunde einen Anruf von der OSZE mit Fragen, ob wir Probleme hätten und ob wir wohlauf seien.

Nachdem ich alles erklärt hatte, beruhigte sich die Lage. Solch einen Aktionismus hatte ich bisher noch nie bei Wahlbeobachtungen erlebt. Selbstverständlich wurden unsere Beobachtungen in eine von der OSZE vorgegebene Liste eingetragen. Diese Standardfragen gibt es in jedem Staat, bei dem die OSZE die Wahl offiziell beobachtet. Bei den von uns besichtigten Wahllokalen konnten wir keine Unregelmäßigkeiten erkennen.

Unabhängig von diesen Erlebnissen stellten wir einige grundsätzliche Dinge fest: Die Wahlwerbung ist bis zur Eingangstür des Wahllokales erlaubt. Vor allen Wahllokalen standen die Wahlwerber direkt nebeneinander, ohne sich zu beharken. Wer als Wahlwilliger unschlüssig ist, geht zu den Wahlwerbern und lässt sich einen Zettel mit den genauen Hinweisen für die Wahl aushändigen. Logischer Weise sind diese Hinweiszettel bei den Demokraten blau und bei den Republikanern rot gefärbt.

Keine zerstörte Wahlwerbung

Anhänger der beiden Kandidaten

Bei den Fahrten von Wahllokal zu Wahllokal sahen wir, dass vor vielen Häusern eindeutige Sympathiebekundungen für eine Partei oder einen Kandidaten offen zu sehen waren. Wir stellten fest, dass die Demokratieakzeptanz ein hohes Gut ist und die Demokratie von allen geachtet wird. An keinem Ort und zu keiner Zeit sahen wir zerstörte oder vernichtete Wahlwerbung. In typisch amerikanischen Siedlungen mit deren bekannten Eigenheimen leben hier die Familien. Diese haben meist zwei bis vier Kinder und gewöhnlich Haustiere sowie zwei bis drei Autos vor der Tür.

In einer solchen Nachbarschaft ist eine verschmutzte Straße ein Problem, welches mit dem Nachbarn ausdiskutiert werden kann. Die private Meinung zu einer Partei wird als selbstverständlich anerkannt, denn sie ist Teil der gelebten Meinungsfreiheit. In diesem Punkt können wir in Deutschland eine Menge von den Vereinigten Staaten lernen. Sicherlich gibt es auch Wohngegenden in den USA, in denen diese ruhige Art der politischen Meinungsakzeptanz nicht so gelebt wird.

Dieser Beobachtungstag endete in den Abendstunden wieder an unserem Hotel in Washington. Danach begaben wir uns in Richtung Weißes Haus. Hier trafen sich viele Menschen, besonders aus dem Lager der Demokraten und protestierten gegen den Präsidenten Donald Trump. Unabhängig von einigen Polizeieinsätzen auf der Straße und in der Luft blieb es an diesem Abend ruhig. Die von vielen befürchteten Ausschreitungen und mögliche Plünderungen blieben aus. Somit endete unser Wahleinsatz mit dem Ende des Tages.

Auswertung der OSZE-Beobachter am 04.11.2020

Am Wahlabend

Am Mittwoch, den 04. November 2020 gab es am Vormittag eine Auswertung durch die OSZE-Wahlbeobachter. Ähnlich wie wir hatten die anderen Teams die gleichen Erlebnisse und Erfahrungen gemacht. Am Nachmittag fand die offizielle Pressekonferenz der OSZE statt. An dieser konnten wir nicht mehr teilnehmen, da wir zum Flughafen mussten und den Nachtflug über den Atlantik in Richtung Heimat nahmen, um dann am Donnerstag zur Mittagszeit in Berlin zu landen.

Fazit: Die Wahlbeobachtung in den Vereinigten Staaten von Amerika, hier konkret die Wahl zum Präsidenten, unterschied sich in vielen Punkten von Wahlen in anderen Staaten. Ob das vor über 200 Jahren geschaffene Wahlsystem noch zeitgemäß ist oder ob es geändert werden muss, das hat das Volk der Vereinigten Staaten zu entscheiden.

Ich denke, dies ist eine Generationenaufgabe.

Ihr

CHristoph Neumann